Interview mit Dr. Stefan Binggeli, Inhaber Programmbetreiber Infraconcept

Stiftung KliK: Herr Binggeli, wie funktioniert das Förderprogramm «Lachgasreduktion in ARA», das von Ihrer Firma Infraconcept geführt wird, genau?

Was vor einigen Jahren noch nicht klar war, weiss man heute: Viele ARA haben Lachgas-Emissionen, teilweise sind diese sehr hoch. Insgesamt geht man davon aus, dass die Lachgasemissionen für rund 2/3 der Treibhausgasemissionen der ARA verantwortlich sind. Aktuell haben Kläranlagen 4 Optionen, diese Emissionen zu reduzieren. Auf der einen Seite gibt es den Ansatz, die Entstehung von Lachgas zu verhindern. Dazu gehören die Massnahmen einer separaten chemischen Faulwasser-Behandlung (Stripping, siehe dazu die Reportage zur AVA Altenrhein ab S. XY), die Dynamische Regelung mit Off-Gas Messungen (DynARA), sowie der Ersatz des Sharon-Verfahrens. Auf der anderen Seite gibt es die Möglichkeit, das Gas nach der Entstehung bei sehr hohem Temperaturen zu verbrennen. Nicht jede Massnahme ist jedoch für jede Anlage geeignet.

Drei von diesen vier Massnahmen sind erst seit 2023 förderberechtigt. Welche sind das?

Als Infraconcept 2017 gemeinsam mit den Partnern Eawag und AVA Altenrhein mit der Mission startete, die Lachgas-Emissionen auf ARA zu reduzieren, stand die Forschung noch ganz am Anfang. Damals war die separate chemische Faulwasser-Behandlung, also das Stripping, die einzige Technologie, die bekannt und wirksam war. Seither wurden neue Emissions-Quellen entdeckt und neue Technologien entwickelt. Seit 2019 ist das Stripping beim BAFU zur Förderung durch die Stiftung KliK registriert. Im 2022 starteten wir die Überarbeitung des Programms für die 3 neuen, oben genannte Massnahmen. Diese wurden ein Jahr später ins Förderprogramm aufgenommen.

Wie wurden die Massnahmen entwickelt?

Zusammen mit der Eawag und Modellanlagen anhand konkreter Projektideen, bei denen wir Versuche, Messungen und Analysen durchführen konnten.

Welche konkreten Ziele wurden mit der Erweiterung des Programms verfolgt?

Mit der Öffnung hin zu mehr Technologien wollten wir noch mehr Kläranlagen ermöglichen, wirkungsvolle Klimaschutzmassnahmen zu ergreifen und ins Förderprogramm aufgenommen zu werden. Gerade die Faulwasser-Strippung können viele ARA nicht umsetzen, weil ihre Anlagen zu klein dafür sind. Der Branche hat die Erweiterung einen ziemlichen Boost gegeben. 6 weitere Kläranlagen haben sich schon neu angemeldet und sind daran Projekte umzusetzen.

Wie hoch ist das zusätzliche Einsparvolumen der neuen Massnahmen?

So genau können wir dies noch nicht abschätzen, da es Verschiebungen zwischen den Massnahmen geben wird. Wir hatten für das Förderprogramm insgesamt mit initial 15’000t CO2e pro Jahr an möglichen Einsparungen gerechnet. Was wir aber jetzt schon sehen können ist, dass das Potential mit den drei neuen Massnahmen noch deutlich gesteigert werden kann. Wir erwarten in einigen Jahren eine Emissions-Reduktion von 40’000t CO2/e pro Jahr und mehr.

Für welche Anlagen eignet sich das Förderprogramm Lachgas?

Die chemische Faulwasserbehandlung eignet sich für grosse, regionale Kläranlagen mit zentraler Schlamm-Entsorgung, also mit besonders viel Fremdschlamm. DynARA eignet sich für Belebtschlamm-Anlagen jeder Grösse mit einer Denitrifikationsleistung unter 65%. Der Ersatz des Sharon-Verfahrens eignet sich gegebenermassen sehr spezifisch für bestehende Faulwasserbehandlungen nach dem Sharon-Verfahren, und die Verbrennung für Festbett-Biologien und zweistufige Anammox-Anlagen.

Welche Unterstützung bietet Infraconcept den ARA bei der Teilnahme am Programm?

Im Vergleich zu anderen Förderprogrammen ist das Lachgas-Projekt sehr komplex. Jede ARA ist ein Unikat und funktioniert anders. Zudem ist auch die Dynamik von Lachgas, also dessen Entstehung und Bekämpfung, an sich sehr komplex. Wir unterstützen die ARA bei der Analyse und der Auswahl der für sie individuell optimalen Technologie sowie beim Setup des Projekts. Aufgrund der hohen Komplexität des Programms ist diese Beratung zentral wichtig, damit die Massnahme zur Anlage passt, technisch funktioniert und förderberechtigt ist. Ganz wichtig dabei ist: Eine Anmeldung zum Förderprogramm muss passieren, bevor Investitionen ausgelöst werden!

Welche Herausforderungen bergen die Massnahmen und deren Umsetzung für die Anlagen?

Jeder Massnahmentyp ist aufwändig; entweder finanziell – insbesondere das Stripping und die Verbrennung –, oder im Betrieb, zum Beispiel DynARA. Die Anlagen brauchen geschultes Betriebspersonal vor Ort und zum Teil auch bei der externen Betreuung durch Ingenieurbüros. Dieses Know-how bereitzustellen ist eine Herausforderung für sich.

Welche Trends sehen Sie in der Entwicklung der ARA-Technologien in den nächsten Jahren?

Punkto Lachgas sind im Förderprogramm jene Technologien abgebildet, die heute bekannt und gut entwickelt sind; jetzt geht es vor allem um die Anwendung. Potential sehe ich noch bei Verbrennungsprozessen und in der Entwicklung von Senkentechnologien («carbon capture and storage CCS» oder «carbon capture and utilization CCU»)

Quelle: Stiftung Klimaschutz und CO₂‑Kompensation KliK, Journal 2024